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von Tobias Bjørkli von Pexels
Ich reise durch die Nacht.
Allein, nackt wie das Kind in der Krippe und mit leeren Händen.
Mit nichts als einem kleinen Stern als Lichtquelle, der mir leuchtet, um mir den Weg zu zeigen.
Seit einer Weile schon bin ich unterwegs in dieser Dunkelheit.
Da ich den Stern nicht immer sehen kann, stolpere ich des Öfteren über Hindernisse im Dunkeln, die mich straucheln und manches Mal fallen lassen, auf die Knie, die Hände, auf mein Herz und sogar auf mein Gesicht.
Immer wieder stehe ich auf und gehe weiter.
Meine Knie und Hände beginnen zu schmerzen vom häufigen Fallen, und immer wieder schaltet sich mein Verstand ein und fragt: „Was machst Du hier eigentlich? Bist Du dir sicher, dass dies der richtige Weg ist? Vielleicht liegt das, was Du suchst, ja garnicht in dieser Richtung, woher willst Du wissen, dass Dich dieser Weg hinführt? Hm?“
Ich übe mich darin, ihn zu ignorieren und mich von seinen Zweifeln nicht verunsichern zu lassen.
Denn ich kann es fühlen – ich kann fühlen, dass ich Ihm näher komme - durch jeden Schmerz, jeden Zweifel, durch jede Angst und jedes unangenehme Gefühl in meinem Körper hindurch – Ihm, dem Heiligen Göttlichen Kind in mir.
Sehr langsam zwar, aber unaufhaltsam komme ich ihm näher.
Ich reise allein, so wie jeder Mensch, der sich auf seine innere Reise begibt, nur alleine reisen kann. Diese Reise kann nur Jeder und Jedem Einzelnen vorbehalten sein.
Ich weiß das.
Dennoch fühle ich mich auf einmal allein, vollkommen einsam, verlassen und hilflos wie ein kleines Kind, das sich selbst nicht helfen kann. Seit so langer Zeit schon bin ich unterwegs in dieser Dunkelheit, und von dem Kind, das ich suche, weit und breit keine Sicht.
Die Dunkelheit wird langsam immer schwärzer, auch mein Stern ist nicht mehr zu sehen.
Und ich bekomme Angst, unfassbare Angst, abgrundtief, die mich wie in einen tiefen Brunnen schleudert, aus dem ich aus eigener Kraft vielleicht nie wieder herauskomme.
„Vielleicht nie wieder“.. spricht mein konditionierter Verstand.
Ich bekomme Panik. Ich beginne, das zu tun, was ich gelernt habe - ich kämpfe. Ich kämpfe in Panik um mein Überleben. Ich kämpfe mit aller Kraft. Ich schlage mit bloßen Fäusten auf die Mauern rings um mich her ein, ich schlage auf die Steine, die sich keinen Millimeter weit bewegen, bis meine Haut aufplatzt und meine Knöchel brechen.
Meine Angst, die in Verzweiflung umschlug, wandelt sich in wilde Wut auf diese abgefuckte Nacht, auf diese undurchdringliche Dunkelheit, auf die Illusionen, denen ich gefolgt bin, auf die abgrundtiefe Enttäuschung, die daraus folgte, auf die anderen Hirten, die da waren und es nicht mehr sind, auf mich selbst, meine Fehler und Fehlentscheidungen, meine Schuld, ja sogar auf das Göttliche Kind, das ich doch so dringend finden wollte.
Irgendwann schwindet meine Kraft, mein Körper und selbst mein Verstand lässt langsam los und ich breche zusammen. Ich liege am Boden dieses dunklen Lochs und mein Bewusstsein ist sich für einen Moment nicht sicher, in welcher Welt es gerade weilt.
Und dann kommt er – unangekündigt und mit voller Wucht: der Schmerz. Dieser riesengroße Schmerz meiner Urwunde. Die Trauer und der Schmerz, den ich mir nie erlaubt habe, zu fühlen. Dieses riesengroße, unfassbare Ungetüm, das mich komplett überrollt.
Mein Verstand klickt sich wieder ein und meint, dass ich darauf nicht vorbereitet bin, dass ich das nicht alles fühlen kann und will. Ich aber bin garnicht in der Lage, auf ihn einzugehen, denn ich bin nochmals viel zu sehr damit beschäftigt, zu kämpfen gegen diesen Schmerz, der mittlerweile meinen Körper durchwandert und ihn durchdringt bis in alle Poren, mein gesamter Körper besteht aus nichts mehr als diesem Schmerz.
Und dieser riesengroße Schmerz schmerzt. Und schmerzt. Und schmerzt. Und schmerzt. Er tut nichts anderes.
Und hört nicht auf.
„Ich kann nicht mehr“ sagt mein Verstand irgendwann.
Ich bleibe am Boden liegen.
Und gebe auf.
Die Dunkelheit ist jetzt komplett.
Ich lasse los.
Irgendetwas bricht in mir.
Irgendein Teil von mir sagt „Das war's dann jetzt wohl“.
Und dann…
Nichts mehr.
Nicht „Nichts“ im Sinne von „Nichts mehr da“ sondern „Nichts“im Sinne von ICH BIN ja noch da.. IMMER NOCH.
Aber – es geschieht Nichts mehr. Kein Schmerz, keine Angst mehr, Nichts von alledem.
Etwas beginnt, sich in mir zu regen.
„HÄH? Wie jetzt? Wie ist das möglich?“ fragt sich ein Teil von mir. Bin ich nicht gerade untergegangen, überwältigt von der Dunkelheit?..
Das, was sich in mir beginnt zu regen wird größer, MEHR und stärker.
Es breitet sich aus. Und weitet… und weitet sich in mir und mit mir, es weitet Mich.
Es wird hell mit einem Mal, hell und immer heller.
Das Licht breitet sich in mir aus und ist auf einmal überall, es über- und durchflutet alles, was da ist, in mir und durch mich hindurch und um mich herum.
Ich kann nicht mehr unterscheiden zwischen meinem Innen und dem Außen, irgendwie fließt alles ineinander, ist alles Eins.
Irgendwo in meinem Bewusstsein nehme ich wahr, dass auch mein Stern zurück ist.
Das Licht bündelt sich nun an einer Stelle, von der ich nicht sagen kann, ob sie in mir oder direkt vor mir liegt, sie ist irgendwie IN mir aber ebenso BEI mir, MIT mir und überall um mich herum.
Nach und nach gewöhnen sich meine Augen an dieses Strahlen und ich kann die Umrisse eines kleinen Kindes, eines Babies, in diesem Leuchten erkennen.
Fragend schaue ich dieses Kind an, ich kann nicht sprechen.
Und das Kind erwidert meinen Blick.
Unendlich RUHIG, SANFT und lIEBEVOLL sieht es mich an.
Ich finde RUHE in diesem Blick.
Wir haben alle Zeit der Welt, denn Zeit und sogar der Raum scheinen nicht mehr zu existieren.
Und auf einmal ist alles klar.
Ich habe keine Fragen mehr.
In der Präsenz dieses Kindes löst sich alles auf, was nicht wichtig ist.
In der Präsenz dieses Kindes zählt nur noch Eines, ja, es existiert sogar nur noch EINES -
die mächtigste, kraftvollste Energie, in der ich je verweilen durfte -
die UNFASSBARSTE, RUHE-VOLLSTE, LIEBE-VOLLSTE, MÄCHTIGSTE und zugleich SANFTESTE KRAFT, die von diesem Kind, von diesem Klitzekleinen und dennoch Größten aller Wesen ausgeht.
Und ich kann garnicht anders, als dieses Kind zu lieben und mich von seiner Liebe durchdringen zu lassen.
In mir entsteht, ganz langsam und sanft, ein umfassendes JA zu dieser Liebe.
Es ist ein Frieden hier, den ich nicht in Worte fassen kann.
Unendlicher Frieden.
Unendliche Ruhe.
Unendliche Liebe.
ICH BIN zu Hause.
Und mit einem Mal beginnt das Kind zu sprechen – ich höre seine Stimme nicht mit meinen physischen Ohren, sondern mit meinem ganzen Körper, in meinem gesamten Sein und mit allen meinen Sinnen nehme ich ihren alles durchdringenden Klang wahr, und sie spricht:
„FÜRCHTE DICH NICHT.
ICH BIN DER ICH BIN.
ICH BIN DER/DIE/DAS ICH IMMER WAR UND IMMER SEIN WERDE.
ICH BIN.
HIER.
HIER – WO UND WIE AUCH IMMER DU JETZT BIST.
ICH BIN IMMER HIER.
HIER – IN DIESEM MOMENT.
HIER – MIT DIR.
HIER – IN DIR.
DU FINDEST MICH IMMER GENAU HIER.“
Und mit einem Mal kann ich das für mich Wichtige in meinem Bewusstsein erkennen -
Das Licht ist zwar da und ist in mir immer schon da gewesen, aber ohne meine mühsame Reise durch meine Dunkelheit in mir - durch all das hindurch, was ich noch nie an Energie in meinem Körper wahrgenommen, in meinem Körper gefühlt und angenommen hatte – wäre ich dessen niemals gewahr geworden.
Wer zu sehr sucht, kann nicht finden. Ich war so verzweifelt auf der Suche nach dem Göttlichen Kind, dass ich es nicht finden konnte. Die Suche hat mich ganz ausgefüllt und hat mich wie herausgezogen aus mir Selbst, aus meinem Wahren Selbst, hinaus aus dem JETZT und aus dem, was JETZT HIER IST. Und ich konnte und kann immer erst FINDEN - die Liebe des Göttlichen Kindes - wenn ich all mein Suchen, mein Sehnen, mein Wünschen, aufgebe.
Erst wenn ich aufhöre zu kämpfen, wenn ich meinen Widerstand loslasse und ANNEHMEN kann, öffnet sich ein Tor in mir, durch das die Liebe fließen kann.
Die größte Illusion und die größte Verzweiflung ist die Idee der Trennung vom Göttlichen Kind in mir und um mich herum. Ich war niemals getrennt von ihm.
Diese Trennung ist nicht möglich.
Dessen kann ich mir allerdings nur bewusst werden, wenn ich diese Tatsache FÜHLEN kann. Solange sie nur in meinem Kopf existiert, bedeutet sie rein gar nichts. Und dessen bewusst werden kann ich mir erst, wenn die harte Schale, die sich um mein Wahres Sein in mir gelegt hat und mich dadurch von ihm entfernt, Risse bekommt.
Das, was da Risse bekommen hat und was sich irgendwann wie zerbrochen angefühlt hat in mir, war nicht ICH SELBST, sondern diese harte Schale.
Und diese zerbricht nicht im Licht, sondern in der Dunkelheit der Nacht.
Diese Schale darf brechen oder immer mehr, langsam und sicher schmelzen, wenn die Liebe – das Göttliche Kind – ihr Licht wirft auf die Dunkelheit und sie damit durchdringt.
Es ist ein Kreislauf – mehr Licht - mehr Dunkelheit wird sichtbar und damit FÜHLBAR, aber mehr Licht bedeutet auch mehr freigewordenen Zugang zur Liebe und weniger Ego-Schale, mehr und freieres Fließen von Liebe und Licht, was wiederum die Dunkelheit in mir erleuchtet, was wieder Angst und Schmerz verursachen kann.
Die Liebe möchte ALLES in uns erleuchten, um uns GANZ und HEIL SEIN zu ermöglichen, die wiederentdeckte Verbindung mit ihr die sich immer mehr vergrößert, das EINS-SEIN mit und in Ihr, aus IHR heraus.
Dies ist der ewige Kreislauf von Geburt – Kreuzigungsweg und Auferstehung.
Ich werde geboren, gehe durch die Nacht und „sterbe“ (die EGO-Schale stirbt ganz langsam ab) – und auferstehe in einem Sein, das tiefer wurzelt und immer mehr verbunden ist mit der Liebe.
Weih-Nacht, die GEWEIHTE NACHT, wird dadurch GEWEIHT und HEILIG, dass ich die „Nacht“ in mir (alles bisher Verdrängte) als Körperempfindung fühlen und annehmen lerne.
Jede Nacht kann für uns alle zur GEWEIHTEN NACHT, zur WEIH-NACHT, werden, wenn wir lernen, ihr immer liebevoller zu begegnen.
WEIH-NACHTEN ist nicht nur einmal im Jahr.
Die unendlich liebevolle Liebe eröffnet uns diese Chance an JEDEM einzelnen Tag im Jahr, in JEDER Stunde, in JEDER Minute, in JEDER Sekunde.
WEIH-NACHTEN ist immer.
JETZT.